Zwei Leben

Zwei Leben führen wir,
ein Leben im Stoff,
unser Körper als Vermittler,
handelnd in der Welt,
um Neues zu schaffen.

Das zweite Leben
führt unser Ich
in der Seele,
worin das Echo von früher
regiert im Jetzt.

Bringe Ordnung dort hinein,
reinige sie
nach den Maßstäben
des Geistes.

aus:
jaap van de Weg
geistes
gegenwart
das einmaleins
der inneren balance

Schlagwort: Apatin

„Die Kinder von heute sind Tyrannen. Sie widersprechen ihren Eltern, kleckern mit dem Essen und ärgern ihre Lehrer“

„Die Kinder von heute sind Tyrannen. Sie widersprechen ihren Eltern, kleckern mit dem Essen und ärgern ihre Lehrer“

Dieser Spruch ist nicht ganz neu. Er ist von Sokrates, der 470-399 v. Chr. lebte, also fast 2500 Jahre alt. Noch älter ist der Spruch auf einer Tontafel der alten Sumerer geschrieben etwa 3000 v. Chr.:

Die Jugend achtet das Alter nicht mehr, zeigt bewusst ein ungepflegtes Aussehen, sinnt auf Umsturz, zeigt keine Lernbereitschaft und ist ablehnend gegen übernommene Werte.

Es scheint ganz normal zu sein, dass seit Menschengedenken Differenzen zwischen der alten und der jungen Generation bestehen. Oft entsteht dabei nicht nur ein Spruch, sondern fast so etwas wie eine Klageschrift.

Maria Himmelfahrt Kirche Apatin - eingeweiht 1798
Maria Himmelfahrt Kirche Apatin – eingeweiht 1798 – die zweite Apatiner Kirche

Visitation der Apatiner Pfarrkirche 1766 (Auszug)

Als Beispiel möchte ich einen Auszug aus der Visitation der Apatiner Pfarrkirche, vom 10. Juli 1766 hier abdrucken. Der Pfarrer und natürlich auch große Teile der Bevölkerung hatten große Schwierigkeiten mit dem Verhalten der Jugendlichen, bis endlich der Pfarrer eine Eingabe an den Erzbischof schrieb:

…In Übereinstimmung mit obigem (Erzbischof) hat der Pfarrer es als seine vordringlichste Aufgabe erachtet, das ihm anvertraute Volk durch häufig wiederholte Ermahnungen darauf hinzuweisen, seine Feste würdiger, als dies bisher geschehen war, zu begehen. Zum Glück hatte er darin auch Erfolg, weil nämlich das ganze Volk, als es diese so eindringlichen Mahnungen des Papstes und des Erzbischofs vernahm, insgesamt wie vom Donner gerührt war. Nachdem es so aus dem Schlaf gerissen worden war, begann es ernstlich darüber nachzudenken, wie schädlich, anstößig und ruchlos es bisher seine Sonntage gefeiert hat, und in welch verkommenem Geiste die törichte und haltlose Jugend sich bisher in allen möglichen Schandtaten austobte, indem sie an allen Sonntagen, anstatt sich zur Katechese und anderen Andachten zu versammeln, lieber einander zu Reigen und Tanz einlud und vorbereitete. Sie bevölkerten solcherart, kaum war der Gottesdienst zu Ende, in Scharen alle zehn Wirtshäuser, um hier die Nacht hindurch unter großem Gedränge und Saufereien, dem Tanz zu frönen.

Schwere Schelmenstreiche der Jugendlichen

Damit haben sie nicht nur ihre Eltern arg bedrängt, sondern auch häufig schwere Schelmenstreiche verübt. So kam es endlich dazu, dass über 300 Burschen mit der gleichen Zahl leichtfertiger Mädchen sich allen tierischen und fleischlichen Lüsten bis zum Überdruss hingaben.

Dies wurde möglich, weil dem Tanze auch Ortsfremde sich zugesellten, die von ihnen sowohl im Glauben als auch in den Sitten stark verschieden sind. So wurden ganze Nächte hindurch Saufereien, Tanz, Lärm, Streit und Blutvergießen, Gotteslästerungen, Fluchen, Hurereien und Deflorationen sogar auf offener Straße durchgeführt. Ja, man war so sehr darauf versessen, Ehebrüche zu begehen, dass vor ihrer Schamlosigkeit nicht nur die Mädchen, sondern selbst fremde Ehefrauen nicht mehr sicher sein konnten. Man bedrängte diese Frauen indem man die Haustore aufbrach oder die Fenster einschlug. Ging aber der Ehemann, um sie zur Vernunft zu bringen, hinaus, schlug man diesen mit kräftigen Hieben zu Boden und verlangte von ihm, ihnen die Frau zu überlassen. Es gab auch mutwillige Burschen, welche den Wagen anderer Bauern auf das Hausdach hinauf zogen.

Die dreifache Zunft der Schelme, der Hurer und der Säufer

Sie haben schließlich ihr Werk durch die Gründung der dreifachen Zunft der Schelme, der Hurer und der Säufer gekrönt.

Das Volk sah, wie diese und mehrere andere Lustbarkeiten an fast allen Feiertagen so offenkundig zur Schande des ganzen Ortes durchgeführt wurden und, dass weder die Gastwirte noch die Gemeinde diesem Übel Einhalt gebieten konnten. Ja nicht einmal die Kameralverwaltung konnte irgendein wirksames Heilmittel dagegen einsetzen, wie sehr sie auch bemüht war einzugreifen und unter Einberufung von 50 bewaffneten Männern aus zwei Bezirken die Anführer dieser Ausschreitungen zu fangen versuchte.

Schließlich wurden doch ungefähr 30 Rädelsführer aneinandergefesselt und in Beinschellen wie Räuber durch den ganzen Ort herumgeführt und nachher auf dem Kirchplatz an den Pranger gestellt, wo sie drei volle Stunden unter starken Wehklagen büßten. Selbst der Dorfrichter wurde auf Weisung der hohen Hofkammer von seinem Amt abgesetzt.

Die Bewohner Apatins kamen schließlich zur Einsicht, dass es in diesem so ausgedehnten und volkreichen Orte, wo solche Ansammlungen von Menschen unterschiedlicher Art und Neigungen anzutreffen sind und wo die Jugend allein 2366 Personen zählt, einen sonntäglichen Tanz gibt, der durchaus verrucht, höchst gefährlich und sowohl Gott als den Menschen verabscheuungswürdig ist und dass die Jugend durch diesen Tanz, solange er so fortdauert, so verdorben wird, dass sie aller Menschenwürde entblößt, alle Zucht, Gehorsam, Scham und Furcht von sich abschüttelnd, sowohl ihren Eltern als ihren Dienstherren, sowohl Gott als auch dem Kaiser ganz und gar nutzlos, ja vielmehr allen zur Gefahr wird. Deshalb beschlossen die Bewohner von Apatin aus eigenem Antrieb und eines Sinnes zu geloben, ihrer Jugend an Festtagen keine Tanzunterhaltung mehr zu gestatten….

Mauern aus Lehm – der Kalk hält sie zusammen

Mauern aus Lehm – der Kalk hält sie zusammen

Beim Stöbern fand ich ein kleines Büchlein von 1954. Ein Gedicht davon gefiel mir besonders gut:

Mein Elternhaus

Die Mauern war’n gestampft aus Lehm und Erde,
die Decke war mit Balken ausgelegt,
das Dach aus Rohr — ein Feuer überm Herde,
das von der Mutter sorgsam ward umhegt.

So ist es schon vom Urahn hergekommen
und blieb auch stehn, wie es vor Zeiten war.
Im Frühjahr kamen Wasser hergeschwommen
und brachten oft es, oft es in Gefahr.

Doch es blieb stehn, gestützt von Mutters Händen;
mit ihrer Sorge hielt sie ’s in Gewalt.
Der Kalk saß faustdick schon auf allen Wänden
und schien mir manchmal als sein einziger Halt.

Wir Kinder zogen aus, doch von dem Dache
stieg immer noch der silbergraue Rauch.
Der Mutter Geist allein hielt treue Wache
und alles blieb erhalten, wie es Brauch.

Doch als der Krieg die Eltern fortgetrieben,
da stand das Haus verlassen und allein;
es war kein Sinn, kein Zweck ihm mehr geblieben,
es fehlte Mutters Hand, es stürzte ein.

Nun ist es noch ein wüster Trümmerhaufen,
an den sich die Umgebung bald gewöhnt.
In Fiebernächten spür ich ’s kalt mich überlaufen —
dann hör ich wie ein Geist darunter stöhnt.

Jakob Wolf geb. 1914 in Feketitsch/Batschka

Die besten Jahre – in der Gefangenschaft

Die besten Jahre – in der Gefangenschaft

DR DOONESCHWOB

Wenn’s Schicksal ’n gschlage,
hot koons ’n gheert klage.
Er hot glei gwißt Bescheid,
des vrplemprt ner Zeit.

Mit Mut un mit Kraft,
mr ehndr was schafft.
So hot ‚r gedenkt,
schiefes grad widr glenkt.

Mit dr Händ repariert,
mit Humor glei pariert.
Unsr schwowischi Art,
hot bis heint sich bewahrt.

S henn alli so gstrebt
uff gleichi Art glebt,
was ’ne ovrtraut gwahrt,
ner Gott ’s goffnbart!

Eva Mayer-Bahl aus „Fei´roowed“ 1985

Adam Franz, Großonkel jung
Adam Franz als ca. 25-jähriger

Franz Adam wurde am 06.05.1894 in Apatin als ältestes Kind von Adam Franz und König Maria geboren. Der Vater war von Beruf Zimmermann, konnte aber später aus gesundheitlichen Gründen seinen Beruf nicht mehr ausführen und eröffnete einen „Tante Emma Laden“.

Franz Adam lernte den Beruf des Donaufischers und übte diesen über den größten Teil seiner Erwerbszeit aus. Zwischendurch gab es Zeiten, in denen er als Schiffssteuermann unterwegs war, so z.B. in den Jahren 1911./.1913; 1921./.1924 und 1934./.1944.

Im Oktober 1914 wurde er zum Österreichisch-Ungarischen 23. Infanterieregiment eingezogen. Bereits im April 1915 kam er in russische Kriegsgefangenschaft, aus der er im Oktober 1918 entlassen wurde.

Ein halbes Jahr nach seiner Entlassung aus der russische Gefangenschaft heiratete er Anna Keisch. Sie hatten zusammen 3 Kinder. Die Tochter Maria wurde nur 2 Jahre alt der ältere Sohn Anton starb 1944 im Krieg, der jüngere Sohn Franz wanderte nach Milwaukee aus. Dessen Nachfahren leben heute noch in Milwaukee.

Bedingt durch den 2. WK und die vollständige Entrechtung der deutschen Minderheit in Jugoslawien wurde er im März 1945 in ein Internierungslager eingewiesen und musste dort bis zum März 1948 verbleiben. Dieser Zeit folgte Zwangsarbeit, die bis zum März 1951 andauerte.

Zusammengerechnet verbrachte Franz Adam fast 10 Jahre seines Lebens in Gefangenschaft und Zwangsarbeit.

Adam Franz als ca. 60-jähriger

Im Oktober 1960 konnte er in Apatin in den wohlverdienten Ruhestand gehen. Zwei Jahre später starb er in Apatin. Seine Frau erhielt nach ihrer Pensionierung die Erlaubnis, nachdem sie einen größeren Ablösebetrag gezahlt hatte, Jugoslawien zu verlassen. Sie zog 1964 nach Deggendorf zu ihrem Bruder.

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Adam Franz, letzte Ruhestätte im Grab der Schwiegereltern

 

Drei Leintücher als Andenken

Drei Leintücher als Andenken

 

Eva Mayer-Bahl
Eva Mayer-Bahl, aus dem Gedichtband Weitrleewe, 1982

O O D E N K E

Ich hab drei Leintiichr
im Kaschte gfunne,
die hot die Herschberger
Nannibäsl gspunne.

Schräg iwr die Gass,
do war ich oft driwe.
Als Oodenke sin
die Tiichr gebliwe.

Ich sig sie noch heint,
wie sie spinnt un trett.
Ich war an ihr ghonge,
als wie a so Klett.

’s wäre ihre Haar schun
un Auge vrbliche.
Oft bin ich ganz haamlich
zu ihre gschliche.

Wenn sie jetz wißt,
daß ich vun ‚re tu schreiwe,
tat sie sichr widr sage:
„Kind, du kannsch bleiwe.“

An ihre Fiiß hot sie ghat,
die schwarzgstrickte Schuh.
Ner’s Rädl hot gsurrt,
awr schunscht war a Ruh.

Ich hab in ihrem Garte
die Paredeis derfe esse.
Die Kindheit, die schee,
kann halt koonr vrgesse.

Eva Mayer-Bahl aus „Weitrleewe“ 1982

Herschberger Nannibäsl, geb. Gass Anna wurde 1865 in Apatin geboren und starb 1945 im Vernichtungslager Kruschiwl (Kruševlje – Serbien). Ich weiß nicht, ob sie dort verhungert ist (wurde), oder an Krankheit gestorben ist.

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Grabstein der Herschberger Nannibäsl

Im Vernichtungslager Kruschiwl starben ca. 2500 Donauschwaben, denen vorher die Menschenrechte aberkannt wurden.

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